Vorsichtiges abtasten in der Schwangerschaft

«Jede Frau soll die Geburt bekommen, die sie sich wünscht»

Sie begleitet am KSB jährlich etwa 100 Frauen bei der Geburt. Doch was genau passiert im Gebärzimmer? Hebamme Andrina Capaul gibt Einblicke in die Geburtshilfe, spricht über Schamgefühl, selbstbestimmte Geburten und kuriose Überraschungen im Kreisssaal.

Sie arbeiten dort, wo viele Menschen den schönsten Moment ihres Lebens geniessen und erstmals als Eltern ihr Kind in die Arme schliessen: in der Geburtshilfe. Ist es auch für Sie ein besonderer Arbeitsplatz?
Auch wenn ich diesen Moment als Hebamme fast an jedem Arbeitstag einmal oder sogar mehrmals erleben darf, ist jede Geburt für mich immer wieder etwas Spezielles und Einzigartiges.

Vor diesem Glücksmoment liegen allerdings Stunden voller harter Arbeit …
… für die Hebamme, aber natürlich vor allem für die werdenden Mütter. Ich kontrolliere den Geburtsverlauf und versuche, die Frau zu unterstützen. Gemeinsam schauen wir, was am besten zum Entspannen oder gegen Schmerzen hilft. Wasser kann zum Beispiel gut zur Entspannung der Muskeln beitragen, deshalb steigen viele Frauen, gerade zu Beginn der Geburt, gern in die Wanne.

Wobei manche Frauen allein die Vorstellung stresst, dass alle um sie herum angezogen sind und sie selbst unten ohne im Gebärsaal oder ganz nackt in der Wanne liegen.
Meist sind ja «nur» ihr Partner und die Hebamme dabei, später kommt noch der Arzt oder die Ärztin dazu. Ansonsten ist ein weites T-Shirt, das über den Po geht, praktisch. Am KSB bieten wir zudem weite Bonding-Tops an. So ist die Frau oben herum bedeckt, wenn ihr das Baby nach der Geburt auf die Brust gelegt wird. Sollten Frauen mit einer Wassergeburt liebäugeln, können sie zum Beispiel einen Bikini einpacken. Ich werde übrigens tatsächlich von einigen werdenden Vätern gefragt, ob ich mit in die Wanne gehe. Dann antworte ich meist: «Na klar, den Bikini trage ich immer drunter.» (Lacht.)

Für manche Männer ist die Geburt eine Achterbahnfahrt – hin und her gerissen zwischen Aufregung, langem Warten, Nervosität, Stolz und Glück. Wie erleben Sie als Hebamme das?
Das stimmt, vor allem wenn die Frauen Schmerzen haben, fühlen sie sich nervös und hilflos. Viele reagieren überrascht, wenn die Frau plötzlich nicht mehr angefasst werden möchte oder ihren Partner in ungewohntem Ton angeht. Wenn ich merke, dass die Männer körperlich und emotional ausgelaugt sind, schicke ich sie an die frische Luft und versichere ihnen, dass ich in dieser Zeit bei ihrer Frau bleibe. Manchmal wird den Männer wegen der Anspannung schwarz vor Augen. Dann legen wir sie auf den Boden, lagern ihre Beine hoch und legen ihnen einen feuchten Waschlappen auf die Stirn. Aber da wir die Vorzeichen meist rechtzeitig erkennen, sind solche Situationen selten.

«Jede Geburt ist für mich etwas Spezielles und Einzigartiges.»
Andrina Capaul

Gerade Erstgebärende haben häufig Ängste vor der Geburt. Wie geben Sie diesen Frauen Sicherheit?
Für diese Frauen ist ein Geburtsvorbereitungskurs sehr wichtig. Dort erhalten sie wichtige Informationen und können so Ängste abbauen. Auch ein Gespräch mit der Hebamme, die sie idealerweise nach der Geburt betreuen wird, kann sehr hilfreich sein. Die Hebammensprechstunde im KSB kann ich für ein geburtsvorbereitendes Gespräch sehr empfehlen. Hier bekommen die Schwangeren Antworten auf all ihre Fragen.

Wie reagieren Sie, wenn eine Frau ohne medizinische Notwendigkeit aus Angst vor der Geburt einen Kaiserschnitt wünscht?
Wir besprechen mit jeder Frau die persönlichen Vor- und Nachteile eines Kaiserschnitts und versuchen, ihr die Angst vor der natürlichen Geburt zu nehmen. Einige Frauen haben heutzutage nicht mehr so viel Vertrauen in ihren Körper, weil zuvor alles vermessen und medizinisch kontrolliert wird. Am Ende sollten sie in sich hineinhorchen und das tun, was für sie am besten passt. Es gibt Frauen, die auch nach der Aufklärung über die OP immer noch einen Kaiserschnitt möchten. Es geht allein darum, dass jede Frau die Geburt bekommt, die sie sich wünscht – sofern dies medizinisch vertretbar ist.

Was hilft ihr bei dieser Entscheidung?
Es ist gut, wenn die Frau sich vorab Gedanken darüber macht, was sie möchte und dies auch mit der Geburtshilfe bespricht. Es kann am Ende aber auch ganz anders kommen: zum Beispiel, wenn sich der Traum der Wassergeburt nicht erfüllt. Oder weil die Mutter sich plötzlich wider Erwarten unwohl fühlt oder eine Wassergeburt aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich ist.

Welche Möglichkeiten gibt es während der Geburt, wenn die Schmerzen zu gross werden?
Zuerst probieren wir es mit alternativer Medizin. Wie erwähnt, kann das warme Wasser in der Wanne die Muskulatur oft schon gut entspannen. Unterstützend kann man auch Akupunktur, Schüsslersalze und Aromatherapie probieren. Wenn Medikamente nötig sind, fangen wir mit leichten Schmerzmitteln an, und steigern bei Bedarf die Dosierung. Falls erforderlich und gewünscht, kann man fast jederzeit eine Periduralanästhesie (PDA) erhalten. Mit einer Spritze betäubt man dabei Becken und Beine. Bei einer Wassergeburt kann als Schmerzmittel auch Lachgas helfen.

Wie geht es nach der Geburt weiter?
Nach der Geburt folgt das Bonding mit den ersten Ansetzversuchen des Babys. Innerhalb einer halben Stunde nach Geburt des Babys sollte die Plazenta geboren werden. Falls es eine Geburtsverletzung gegeben hat, versorgen wir diese anschliessend in Lokalanästhesie. Danach haben die Eltern Zeit für sich und ihr Kind und können sich in Ruhe kennenlernen. Anschliessend folgt die erste Untersuchung des Neugeborenen – wiegen, messen, anziehen. Nach zwei bis drei Stunden werden Mutter und Kind auf die Wöchnerinnenstation verlegt.

«Als Beleghebamme muss ich immer erreichbar sein.»
Andrina Capaul

Wie viele Tage bleiben die Frauen durchschnittlich im Spital?
Nach Spontangeburten meist vier Tage, nach einem Kaiserschnitt geht man in der Regel am fünften Tag nach Hause. Bei ambulanten Geburten können Mutter und Baby, sofern alles in Ordnung ist, bereits nach vier bis sechs Stunden das Spital verlassen. Jedoch muss gesichert sein, dass sie für die Nachbetreuung eine Hebamme haben.

Welche Geburt werden Sie nie vergessen?
Meine erste Geburt als Beleghebamme: Ich hatte die Frau bereits bei ihrer ersten Geburt betreut. Bei der zweiten begleitete ich sie dann schon während der Schwangerschaft als Beleghebamme und betreute sie nun auch im Wochenbett. Natürlich bedeutet die Arbeit als Beleghebamme auch zusätzlichen Stress, da wir fünf Wochen um den Geburtstermin immer erreichbar sein müssen.

«Es ist immer wieder ein unbeschreibliches Gefühl, einen kleinen Menschen im Leben begrüssen zu dürfen.»
Andrina Capaul

Die eigene Familie und Freunde stehen also hinten an?
Nicht unbedingt, eine Kollegin kann gelegentlich den Bereitschaftsdienst übernehmen. Dies müssen wir aber gut planen. Es ist jedoch so schön, wenn man eine Familie über einen längeren Zeitraum begleiten darf – den Stress nehmen wir gerne in Kauf.

Haben Sie schon einmal etwas Kurioses im Gebärsaal erlebt?
Ein Vater hat einmal ein Stück von der Nabelschnur abgeschnitten und mitgenommen, um es zu trocknen und in einem Säckli aufzubewahren. Das ist ein fernöstlicher Brauch.

Was begeistert Sie an Ihrem Beruf in der Geburtshilfe?
Dass man Paare ein Stück weit beim Elternwerden begleiten und beim Elternsein unterstützen kann. Es ist ein sehr spannender Beruf, weil jede Geburt anders ist. Vor Kurzem erwartete beispielsweise eine Frau ihren zweiten Sohn, wurde aber Mutter einer Tochter. Das war eine riesengrosse und schöne Überraschung für die Familie. Und natürlich ist es auch für mich immer wieder ein unbeschreibliches Gefühl, einen kleinen Menschen im Leben begrüssen zu dürfen.

Geburtshilfe am KSB

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Telefon +41 56 486 35 50
E-Mail: fkl.anmeldung@ksb.ch






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