Rettungsdienst: Rettungssanitäterin Stefanie Härri sitzt im Rettungswagen.

Rettungsdienst: Geschichten zwischen Leben und Tod

Die Rettungssanitäter Hans Christian Neukirchen und Stefanie Härri erzählen von ihrem Alltag – von vermeintlichen und versteckten Herzinfarkten, emotionalen Angehörigen und einer wundersamen Wiederauferstehung.

Mit ihren Rettungsfahrzeugen umrundete die Ambulanz des KSB im letzten Jahr sechsmal die Erde, zumindest von den Kilometern her. Häufig ist es tatsächlich ein Notfall, oft betrifft dieser das Herz. Was die Rettungssanitäter dabei für Geschichten erleben, erzählen Hans Christian Neukirchen und Stefanie Härri. Neukirchen arbeitet seit 2010 als Rettungssanitäter. Zudem ist er Anästhesiepfleger und arbeitet auch auf der Anästhesie. Aufgrund seiner Ausbildung wird er meistens für schwere Notfälle aufgeboten, da er über erweiterte Kompetenzen verfügt. Hier berichtet er von einigen seiner Erlebnisse.

Meine aussergewöhnlichste «Brustschmerz»-Geschichte …

… bringt mich rückblickend ein wenig zum Schmunzeln. Bei uns ging ein Notruf einer Frau aus einer Asylunterkunft ein. Sie klagte über starke Brustschmerzen. Das ist eine Meldung, wie sie täglich bei uns eingeht. Oft handelt es sich um einen Herzinfarkt oder eine Lungenembolie. Auch verkrampfte Muskeln zwischen den Rippen oder die Knochen selbst können starke Schmerzen verursachen. Vor Ort merkten wir jedenfalls, dass sie wortwörtlich Brustschmerzen hatte: Die junge Mutter stillte, und ihr Baby zog beim Trinken so stark, dass sich die Brustwarzen stark entzündeten. Statt eines notfallmässigen Transports ins Spital reichte dann eine entzündungshemmende Salbe.

Das dramatischste Erlebnis …

… war ein totes Baby. Diesen Einsatz werde ich nie vergessen. Die Mutter alarmierte uns, weil ihr Säugling am Morgen regungslos im Bettchen lag. Wir konnten nichts mehr für das Baby tun. Natürlich muss man im Rettungsdienst auf alles gefasst sein, aber wenn ein so junges Leben auslischt, steckt man das nicht so einfach weg. Ich war damals ebenfalls erst kurz zuvor Vater geworden, deshalb berührte es mich persönlich noch stärker.

«Manche Einsätze sind heftig. Dann ist es wichtig, dass man darüber sprechen kann.»
Christian Neukirchen

Blaulicht und Horn …

… benutzen wir nur, wenn die Zeit matchentscheidend ist. Insbesondere bei Schmerzen im Brustbereich oder bei Schwerverletzten zählt jede Sekunde – je früher wir vor Ort sind und die Betroffenen versorgen können, desto grösser sind die Heilungschancen. Die Fahrt mit Horn und Blaulicht gehört für mich dennoch zum Alltag. Was viele nicht wissen: Wir sind nicht von den Verkehrsregeln befreit. Wenn wir einen Unfall verursachen, sind wir genauso schuld, wie wenn das mit einem privaten Auto passiert wäre. Deshalb müssen wir immer abwägen: Lohnt sich beispielsweise bei einer Ampel das Überfahren von Rot, oder ist das Risiko für unsere eigene Sicherheit und die von Unbeteiligten zu gross?

So handeln Sie bei einem Notfall richtig

Bei einem Notfall fühlt man sich schnell überfordert: Soll ich direkt 144 alarmieren? Oder muss ich mich zunächst um die betroffene Person kümmern? Der letzte Nothelferkurs ist meistens schon eine Weile her, deshalb folgend das Ampelschema als Erinnerungsstütze. Es zeigt das grundsätzliche Vorgehen bei einem Notfall.

Schauen: Situation überblicken: Was ist geschehen? Wer ist beteiligt? Wer ist betroffen?

Denken: Gefahr erkennen und diese für Helfende, Betroffene und weitere Personen ausschliessen.

Handeln: Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr. Sichern und signalisieren Sie die Unfallstelle, schalten Sie Maschinen und Geräte ab. Alarmieren Sie den Notruf und schildern Sie den Vorfall (wo, wer, was, wie viele). Leisten Sie wenn möglich Nothilfe.

Auf dem zweiten Weg in den Rettungsdienst

Stefanie Härri schloss ihre Ausbildung zur Rettungssanitäterin vor zwei Jahren ab. Zuvor arbeitete sie als Malerin. Ein Rettungsschwimmkurs machte sie neugierig auf ihren heutigen Beruf. Schliesslich wechselte sie kurz darauf die Branche. Hier blickt sie auf ihre ersten Berufsjahre zurück.

Mein ungelöster Fall …

… war ein älterer Herr. Als wir bei ihm zu Hause eintrafen, lag er mit offenem Mund und blass-grauer Haut auf dem Sofa. Uns wurde mitgeteilt, sein allgemeiner Zustand habe sich verschlechtert. Er fühle sich schwach, habe keinen Appetit, sei müde. Aber dieser Mann sah aus wie tot. Mein Kollege tastete aber noch Puls an seinem Hals und begann sofort, ihn mit einer Beutelmaske zu beatmen. Ich mass die Sauerstoffsättigung im Blut, steckte eine Infusion und bestellte zusätzlich die Anästhesiepflege. Dann begann sich der Mann zu bewegen, nahm drei tiefe Atemzüge und war plötzlich wieder bei vollem Bewusstsein. Niemand konnte sich erklären, was gerade passiert war. Und wir wissen es bis heute nicht.

Am emotionalsten …

… ist für mich bei vielen Einsätzen der Umgang mit den Angehörigen. So war es beispielsweise auch bei einem 70-jährigen Mann. Seine Frau rief uns an, er atme nicht mehr. Die Wohnung war sehr eng, und im Bett konnten wir ihn nicht reanimieren. Also legten wir ihn auf den Boden und begannen mit der Reanimation. Seine Frau sass daneben auf einem Stuhl und erzählte uns seine Lebensgeschichte: Ein halbes Jahr vorher hatte ihr Mann den Krebs besiegt und erst wenige Wochen vorher eine Herzoperation überstanden. Nun habe sie gedacht, es gehe wieder bergauf. Wir erreichten immer wieder einen sogenannten «Return of spontaneous circulation». Das bedeutet, dass der Kreislauf kurzzeitig zurückkehrte. Wir reanimierten ihn vor Ort bestimmt während etwa 45 Minuten, auf dem Weg ins Spital verstarb er schliesslich. Wenn ich die Angehörigen ein wenig kennengelernt habe, macht das einen Todesfall für mich noch schlimmer.

«Hätten wir auf unseren ersten Eindruck vertraut, hätte sie sehr wahrscheinlich einen Herzinfarkt erlitten.»
Stefanie Härri

Der erste Eindruck …

… täuscht oft. Ich erinnere mich an eine 75-jährige Frau. Sie erzählte uns, dass ihr bereits am Morgen der Kopf schmerzte und ihr schwindlig war. Sie habe sich hingelegt und gedacht, das gehe schon wieder vorbei. Es wurde aber nicht besser, und am Nachmittag kam ein Engegefühl in der Brust hinzu, und das Atmen fiel ihr schwer; deshalb rief sie uns schliesslich. Wir versorgten sie mit zusätzlichem Sauerstoff, hörten die Lungen ab und prüften den Blutdruck. Der war sehr hoch – ein normaler oberer Wert liegt zwischen 120 und 130, der ihre war bei 210. Wir begannen deshalb sofort, den Druck zu senken. Es deutete alles auf eine Entgleisung des Blutdrucks mit unklarer Ursache hin.

Trotz unserer Verdachtsdiagnose untersuchten wir mit einem EKG die Aktivität ihres Herzens. Und dabei zeigte sich, dass es auf mehreren Seiten des Organs Anzeichen für einen Infarkt gab. Nach Rücksprache mit dem Kardiologen im Spital lieferten wir die ältere Dame sofort ein. Hätten wir auf unseren ersten Eindruck vertraut, wären wir gemütlich zurückgefahren, während sie sehr wahrscheinlich einen Herzinfarkt erlitten hätte. Ein zweiter Blick lohnt sich deshalb immer.

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