Swiss-Nuclides-Geschäftsführerin Leila Jaafar

Nuklearmedizin: Radioaktiv gegen den Krebs

Gemeinsam mit dem Start-up Swiss Nuclides arbeitet das KSB in seinem Health Innovation Hub daran, radioaktive Biomoleküle für eine präzisere Diagnostik und Therapie von Tumoren herzustellen. Swiss-Nuclides-Geschäftsführerin Leila Jaafar erklärt, worum es geht.

Frau Jaafar, Swiss Nuclides forscht in Zürich an der Herstellung von sogenannten Radionukliden, die bessere Resultate in der Krebsbehandlung versprechen. Was genau sind Radionuklide?

Radionuklide sind instabile, radioaktive Atome. Grundsätzlich unterteilen wir Atome in stabile und instabile Atome. Instabile Atome sind radioaktiv. Das heisst, sie zerfallen unter Aussendung von Strahlen und verlieren ihre Radioaktivität ziemlich rasch. Eine Ausnahme bildet das bekannte Atom Uran, das sozusagen von Natur aus dauerhaft radioaktiv ist. Bereits in den 1930er-Jahren erkannten Forscher, dass man Atome durch das Bombardieren mit anderen Atomen radioaktiv machen kann. Das ist vereinfacht formuliert auch unser Vorhaben. Denn die Nuklearmedizin arbeitet eben mit dieser künstlichen Radioaktivität.

Was braucht es, um künstliche Radioaktivität zu erzeugen?

Zur Herstellung gibt es verschiedene Methoden wie Kernreaktoren oder Zyklotronen, auch Teilchenbeschleuniger genannt. Die weltweit grösste und bekannteste dieser Anlagen steht im CERN in Genf. Für medizinische Zwecke reichen kleinere Zyklotronen in einem normal grossen, strahlengeschützten Raum. Meist werden dort die Kerne von Wasserstoffatomen auf andere Atome geschleudert. Die bombardierten Atome verwandeln sich dabei in die gewünschten radioaktiven Atome.

Wo liegen die Schwierigkeiten in diesem Prozess?

Der ganze Herstellungsprozess ist – je nach zu erzeugendem Atom ­– ziemlich aufwendig und kompliziert. Zuerst stellen wir sicher, dass dabei hauptsächlich nur das gewünschte Atom entsteht. Dieses wird anschliessend gereinigt und im Rahmen einer raschen chemischen Reaktion an ein Biomolekül gebunden. Sonst zerfällt es schnell wieder. Dann erfolgt ein weiterer Reinigungsschritt. Nicht zuletzt geht es darum, strenge Sicherheits- und Hygienevorschriften einzuhalten.

Wie kommen diese Radionukliden in der Medizin zum Einsatz?

Die nuklearmedizinische Diagnostik wird heute zur Abklärung der meisten bösartigen Tumoren eingesetzt. Zum Beispiel bei Lungen-, Brust-, Darm- und Prostatakrebs. Dazu werden dem Patienten vor der Untersuchung Radiotracer eingespritzt, also Biomoleküle, die mit künstlichen radioaktiven Atomen markiert sind. Nach einer gewissen Wartezeit werden dann Bilder des Patienten angefertigt, welche die Anreicherungen der Radiotracer in den Tumorherden zeigen.

Basiswissen: Nuklearmedizin

Die Nuklearmedizin befasst sich mit der Anwendung von radioaktiven Atomen in der medizinischen Diagnostik und Therapie. Zu diesem Zweck werden die radioaktiven Atome an Biomoleküle gebunden. Die so entstandenen Radiotracer schleusen sich dann bei Verabreichung je nach Art in verschiedene Stoffwechselprozesse im Körper ein. Dort lagern sie sich in Krankheitsherden ab. Die Nuklearmedizin stellt also Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper dar. Radiologische Verfahren wie Röntgen, CT, MR und Ultraschall hingegen zeigen vorwiegend anatomische Veränderungen in einem Patienten.

Radionuklide sorgen also für eine präzisere Diagnostik. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?

Therapien sind beispielsweise bei Schilddrüsentumoren möglich. Oder bei gewissen Patienten mit Knochenmetastasen, Prostatakrebs und diversen seltenen Tumoren. Dabei wird ein anderer Typ eines künstlich hergestellten radioaktiven Atoms an ein geeignetes Biomolekül gebunden. Spritzt man diese Kombination in den Patienten, reichert sie sich in den Tumorherden an und deponiert dort sehr lokalisiert die radioaktive Strahlung. Damit können weit im Körper verbreitete bösartige Tumorherde gezielt zerstört werden.

Wo sehen Sie die grössten Vorteile verglichen mit einer Chemotherapie?

Eine Chemotherapie ist oft mit massiven Nebenwirkungen verbunden. Dies, weil sich die eingesetzten Substanzen eben nicht nur lokal, sondern im ganzen Körper verteilen. Sie wirken dann zwar stark auf den Tumor ein, haben aber auch grosse Effekte auf verschiedene Organe und können diese gar schädigen. Geeignete Radiotracer sind viel gezielter aktiv, da sie sich vorwiegend an den Tumor binden. Damit wirken die radioaktiven Strahlen genau dort, wo sie erwünscht sind.

Welche Gefahren bringt eine Behandlung mittels Nuklearmedizin mit sich?

Die Diagnostik ist im Wesentlichen gefahrlos. Die kleinen Mengen an Radioaktivität, die dabei in den Patienten gelangen, toleriert der Körper problemlos. In der Therapie braucht es höhere Dosen. Das Ziel ist es, jene radioaktiven Tracer einzusetzen, die sich sehr spezifisch am Tumor anreichern und keine anderen Organe belasten. Allerdings ist das derzeit nur ansatzweise möglich. Entsprechend werden beispielsweise die Nieren oder die Harnblase ebenfalls stark bestrahlt, was schädigend sein kann. Das Prinzip der Abwägung von Nutzen und Schaden ist in der Medizin aber allgegenwärtig. Also geht es darum, einen möglichst hohen Nutzen bei einem möglichst tiefen Schaden zu erreichen.

Wie sieht der aktuelle Stand aus, ab wann kommen Ihre Radionukliden zum Einsatz?

Swiss Nuclides will die kommerzielle Produktion von Radionukliden bis Ende dieses Jahres umsetzen. Dabei arbeiten wir mit dem Universitätsspital Zürich und dem Medizintechnikkonzern GE Healthcare zusammen. Parallel dazu laufen präklinische und anschliessend klinische Studien für neuartige Radiotracer. Dies in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Baden und dem Universitätsspital Basel. Wir rechnen damit, dass wir die ersten Untersuchungen an Patienten im Jahr 2022 durchführen können. Therapeutische Anwendungen folgen später.

Neue Visionen für das Spital der Zukunft

Der Health Innovation Hub des Kantonsspitals Baden ist eine Plattform für Innovationen in der Gesundheitsversorgung. Ziel ist es, gemeinsam mit Partnern Lösungen zu finden, die das Versorgungsangebot, die Prozesse und Dienstleistungen innerhalb des Spitals kontinuierlich verbessern. Das KSB stellt dafür nebst finanzieller Unterstützung auch die medizinische Expertise, Daten und Räumlichkeiten zur Verfügung. Zu den namhaften Partnern des KSB gehören unter anderem die ETH Zürich, das Universitätsspital Zürich, Alpiq, GE Healthcare und das Paul Scherrer Institut.

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