Inkontinent? Sie sind damit nicht alleine
Blasenschwäche ist ein verbreitetes Leiden: In der Schweiz sind rund 1 Million Menschen betroffen. Dennoch ist es ein Tabuthema. Oft hilft gezieltes Training, die Beschwerden zu lindern.
Es ist ein stilles Leiden: Über Inkontinenz spricht kaum jemand. Zwar ist jede vierte Frau und jeder zehnte Mann in der Schweiz von Blasenschwäche betroffen. Doch die Scham, sich anderen anzuvertrauen, ist gross.
Das Entleeren und Speichern von Urin in der Harnblase ist ein komplizierter Vorgang: Es ist ein Zusammenspiel von Muskeln, Nerven und bestimmten Regionen in Gehirn und Rückenmark. Die Harnblase sammelt den Urin, den die Nieren laufend produzieren. Wenn sie sich füllt, dehnt sich das Hohlorgan langsam aus. Ein Schliessmuskel sorgt dafür, dass nicht ungewollt Urin abfliesst. Wenn die Blase etwa halb voll ist, melden Nerven dies ans Gehirn – man muss pinkeln.
Viele mögliche Ursachen
Es gibt viele Risikofaktoren, die Inkontinenz begünstigen: Übergewicht, schwere Lasten heben, rauchen, wenig Bewegung oder angeborene Faktoren wie etwa schwaches Bindegewebe. Bei Frauen sind Schwangerschaft und Hormonumstellung zudem mögliche Risikofaktoren. Urin-Inkontinenz kommt deshalb bei Frauen weitaus häufiger vor als bei Männern.
Schwaches Bindegewebe und ein geschwächter Beckenboden sind oft ein Grund für Inkontinenz. Letzterer ist ein Muskel und liegt im Becken: Stellt man sich das Becken als Schüssel vor, befindet sich der Muskel am Boden. Durch ihn verlaufen die Körperöffnungen. Ist er aufgrund einer Schwangerschaft oder Übergewicht geschwächt, kann er den Urin nicht mehr zuverlässig in der Blase halten. Beim Niesen, Husten oder Lachen verlieren Betroffene dann Urin – manchmal nur wenige Tropfen, manchmal aber auch mehr.
Andere Patientinnen klagen über ein Fremdkörper- oder Druckgefühl in der Vagina. Der Grund dafür sind Gebärmutter oder Scheide, die sich abgesenkt haben. Eine solche Senkung kann dazu führen, dass Betroffene ungewollt Urin verlieren.
Belastungsinkontinenz vs. überaktive Blase
Bei einer belastungsabhängigen Inkontinenz verlieren Betroffene Urin, wenn der Druck im Bauch ansteigt. Das ist zum Beispiel beim Niesen, Husten, Lachen, beim Sport oder beim Heben von schweren Lasten der Fall. Während hier ursächlich verantwortlich die oben beschriebenen Beckenbodenstörungen mit entsprechenden Risikofaktoren sind, ist die sogenannte überaktive Blase (Overactive Bladder, OAB) das Gegenstück zur Belastungsinkontinenz. Hierbei leiden Betroffene unter ständigem Harndrang, weswegen man gerne auch den Begriff Reizblase verwendet. Typisch ist häufiges Wasserlösen mit jedoch nur geringen Mengen und dies auch nachts. Bei schon geringer Füllung meldet dies die Blase dem Gehirn, und ein unangenehmer Drang wird ausgelöst. Helfen können hier Verhaltenstherapie, Physiotherapie, Medikamente oder auch Behandlung mit Botox.
Strom hilft
Inkontinenz wird zunächst konservativ behandelt, vor allem mit Physiotherapie. Ziel dieser Behandlung ist, den Patienten zu zeigen, welche Muskelgruppen für die Wiederherstellung von Kontinenz wichtig sind. Diese werden dann gezielt trainiert. Rüdiger Mascus, Leiter Blasen- und Beckenbodenzentrum am Kantonsspital Baden, sagt: «Vor allem bei jungen, ansonsten gesunden Betroffenen bringen diese Massnahmen viel.» Wer regelmässig trainiere, sei nach einigen Wochen beschwerdefrei. Mascus: «Bei älteren Patienten ist es schwieriger, den Muskel zu trainieren.» Aber auch sie können davon profitieren. Das konventionelle Training kann durch Geräte wie zum Beispiel eine Vibrationsplatte oder ein Elektrostimulationsgerät unterstützt werden. Über eine Vaginal- oder Analsonde gibt dieses Gerät elektrische Impulse an den Muskel ab und veranlasst diesen so, sich anzuspannen. Dadurch spüren Betroffene, welche Muskeln sie trainieren sollen. Das erleichtert die Übungen.
Bringt das Training aber nicht den gewünschten Erfolg, kann eine Operation helfen. Dabei wird ein Kunststoffband unter der Harnröhre hindurchgeführt. Dieses verhindert, dass bei Belastungen wie Husten oder Lachen die Harnröhre absackt und die betroffene Person Urin verliert.
Inkontinenz beim Mann
Männer leiden seltener an Blasenschwäche als Frauen. Mascus: «Auch bei ihnen ist das gezielte Beckenbodentraining mit erfahrenen Physiotherapeuten sehr erfolgversprechend.» Erst wenn diese Massnahme nicht hilft, kommen operative Verfahren zum Zug.
Beckenbodentraining als vorbeugende Massnahme ist nicht nötig. Rüdiger Mascus empfiehlt:
- Bleiben Sie aktiv: Ein sportlicher Lebensstil sorgt für starke Muskeln und beugt Inkontinenz vor.
- Halten Sie ein gesundes Körpergewicht. Übergewicht beansprucht den Beckenboden zusätzlich.
- Rauchen Sie nicht. Nikotin hat einen negativen Einfluss auf viele Komponenten der Kontinenz. Zudem belastet chronischer Husten den Beckenboden.
- Gehen Sie erst zur Toilette, wenn Sie einen starken Drang verspüren. Zu häufiges Wasserlösen kann eine Reizblase begünstigen.
Leiden Sie an Blasenschwäche? Schämen Sie sich nicht, sich Hilfe zu holen. Die Expertinnen und Experten vom Blasen- und Beckenbodenzentrum am KSB helfen Ihnen fachkundig und diskret weiter.
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