Ein Mädchen mit Trisomie 21 steht lächelnd vor einem Spielplatz.

«Kinder mit Trisomie 21 sind immer fröhlich»

Erst die Freude über die Schwangerschaft, dann der Schock. Das Kind hat ein Down-Syndrom. Vielleicht. Wie sollen Eltern mit einer solchen Nachricht umgehen? Welche Konsequenzen ziehen sie daraus? Ein persönlicher Erfahrungsbericht der Redaktorin.

Es war im Frühling 2012. Ich war im vierten Monat schwanger. Eben als ich in die Mittagspause gehen wollte, klingelte mein Handy. Meine Gynäkologin war dran, mit schlechten Nachrichten: Mein Kind habe womöglich eine Trisomie 21. Die Wahrscheinlichkeit liege bei 1:38. So lautete das Resultat des Ersttrimestertests.

Eine Zahl, nichts weiter. Und doch warf sie mich aus der Bahn. Genau wie die Worte der Gynäkologin. Sie empfehle mir eine Fruchtwasserpunktion*, um das Testresultat zu überprüfen. Dann legte sie auf. Ich war wie erstarrt. Was sollte ich tun? Mit der Fruchtwasserpunktion eine Fehlgeburt riskieren? Das Kind behalten, ohne Gewissheit zu haben? Es abtreiben? Tausend Fragen überrollten mich. Diese hatte ich mir, blauäugig, wie ich war, zuvor nicht gestellt.

*Damals waren nichtinvasive pränatale Tests (siehe Box) noch nicht Standard.

Drei Tests, um der Trisomie 21 auf den Grund zu gehen

Ersttrimestertest: Ärzte berechnen damit, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Krankheiten ist, unter anderem für die häufigste Chromosomenstörung, das Down-Syndrom (Trisomie 21). Dabei stützen sie sich auf das Alter der Mutter, einige Blutwerte und die Breite der Nackenfalte beim Fötus.

Bluttest oder nicht-invasive pränatale Tests (NIPT): Im Blut der Mutter schwimmen Teile der kindlichen DNA. Dieses Erbgut verrät mit 99-prozentiger Sicherheit, ob der Fötus eine Trisomie 13, 18 oder 21 hat.

Die Punktion (Fruchtwasserpunktion oder Plazentabiopsie): Dabei entnehmen Ärzte mit einer feinen Nadel Fruchtwasser oder Plazentazellen aus dem Bauch der Mutter. Im Fruchtwasser schwimmen Zellen des Kindes. Im Labor kann man feststellen, ob tatsächlich eine Trisomie 21 vorliegt.

Soll ich ein Kind mit Trisomie 21 abtreiben?

«Mach es weg», riet eine Bekannte meiner Mutter. Als wäre «es» etwas Ekliges, Krankes, das man schnell loswerden muss. Solche und ähnliche Ratschläge erhielt ich von verschiedenen Seiten. Andere Leute machten mir Mut, das Kind zu behalten. Ich war hin- und hergerissen. Und stand unter Zeitdruck. Das Resultat hatte ich in der Schwangerschaftswoche (SSW) 13 erfahren. Mir blieben nur noch zwei Wochen, um zu entscheiden, ob ich mein Kind operativ abtreiben wollte. Denn ab der SSW 16 müsste ich das Kind bei einem Abbruch gebären.

Ein Wochenende, um einen schweren Entscheid zu treffen

Am Wochenende hatte ich eine Reise nach Bellinzona geplant. Obwohl oder gerade weil ich diesen schweren Entscheid treffen musste, trat ich sie an. Wenn ich heute daran zurückdenke, erscheint sie mir wie ein Traum. Ich erinnere mich an Details, die scheinbar keine Bedeutung haben, aber die sich doch eingebrannt haben.

Da war dieses zarte Flattern und Streichen im Bauch, das ich spürte, als ich aus dem Zugfenster blickte und die grüngrauen Berge vorbeiflitzen sah. Mein Kind lebte. Es gehörte zu mir. Und ich sollte es abtreiben?

Da war das unglaublich weiche Wasser, das aus dem Hahn der Jugendherberge floss. Es war so weich, dass ich die Seife kaum mehr von den Fingern kriegte.

Und da war der federnde Grasboden zwischen den Mauern des Castello di Montebello. Es waren gerade Mittelalter-Festspiele; ich verfolgte Wettkämpfe zu Pferd, schlenderte zwischen Ständen, beschnupperte handgemachte Seifen und bewunderte die historischen Kostüme der Handwerker, Ritter und Marktfrauen.

Als ich wieder im Zug nach Zürich sass, wusste ich es. Ich würde mein Baby behalten, egal, ob es ein Down-Syndrom hatte oder nicht. Und ich würde herausfinden, wie mein Alltag mit einem solchen Kind aussieht.

«Wir stellten uns darauf ein, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen»

Zu Hause nahm ich Kontakt mit dem Verein Insieme21 auf, einer Interessenvertretung für Menschen mit Trisomie 21 und ihre Angehörigen. Man vermittelte mir den Kontakt zu einer Familie mit drei Söhnen. Der jüngste davon hatte eine Trisomie 21.

Portrait Leonhard Schäffer, Prof. Dr. med. Leonhard Schäffer, Chefarzt für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik
«Lieber eine gut fundierte Entscheidung treffen, die man nicht bereut, als unter Zeitdruck etwas Schwerwiegendes beschliessen.»
Leonhard Schäffer, Chefarzt für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik

Ich besuchte die Familie. Sie empfing mich sehr freundlich und erzählte mir ihre Geschichte. Die Mutter war mit 43 nochmals schwanger geworden. Ihr Ersttrimestertest sagte ein Risiko von 1:3 für eine Trisomie 21 voraus. «Das war ziemlich eindeutig. Wir stellten uns darauf ein, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen», erzählt die Mutter. Während sie spricht, amüsiert sich ihr Vierjähriger im Planschbecken. «Er ist immer fröhlich. Das ist typisch für Kinder mit Down-Syndrom», meinte seine Mama.

Was ich gehört und erlebt hatte, beruhigte mich. Nun hatte ich immerhin eine Idee davon, wie Menschen mit Trisomie 21 sind. Und fand dies gar nicht schlimm. Ich begann, den Gedanken an ein beeinträchtigtes Kind zu akzeptieren. Eine Fruchtwasserpunktion kam für mich nicht mehr in Frage. Die langen Monate bis zur Geburt wusste ich nicht, wie mein Kind herauskommen würde. Aber wann weiss man das schon? Für mich war es in Ordnung so. Meine Schwangerschaft war eine besondere und bereichernde Zeit. Und ich hatte am Ende Glück. Meine Tochter kam ohne Trisomie 21 zur Welt.

Trisomie 21: So beraten Ärzte am KSB werdende Eltern

Jahre später sitze ich in der Sprechstunde von Leonhard Schäffer am KSB. Nicht als Patientin diesmal, sondern als Bloggerin. Kein Entscheidungsdruck, keine Ängste quälen mich diesmal. Ich erzähle ihm meine Geschichte und möchte wissen, wie es mir damit am KSB ergangen wäre. Wie informieren die Ärzte hier? Wie viel Zeit bekommen Eltern für einen schwierigen Entscheid? Wie bespricht der Arzt die nächsten Schritte mit ihnen? Leonhard Schäffer, Chefarzt für Geburtshilfe und Pränataldiagnostik, sagt, wie er vorgeht:

  • Zeit und Raum zum Verarbeiten der Neuigkeit geben: «Andere Patienten müssen sich dann eben gedulden.»
  • Zeitdruck herausnehmen: «Lieber eine gut fundierte Entscheidung treffen, die man nicht bereut, als unter Zeitdruck etwas Schwerwiegendes beschliessen.»
  • Nächste Schritte definieren: «Je nach Risikosituation und Sicherheitsbedürfnis der Eltern kommt eine vertiefte Pränataldiagnostik (spezialisierter Ultraschall, nicht-invasiver pränataler Bluttest [NIPT] oder Plazenta- oder Fruchtwasserpunktion) in Frage.»
  • Beratung anbieten: die Eltern über die Erkrankung, deren Prognose, die Entwicklungsmöglichkeiten sowie die Lebensqualität der Kinder aufklären, durch einen Genetiker und/oder eine betroffene Familie.
  • Bedingungen für einen Abbruch aufzeigen: Ein Abbruch im Rahmen der Fristenlösung ist bis zur SSW 12 möglich. Danach müssen gewisse gesetzliche Kriterien erfüllt sein. Bis etwa zur SSW 15 ist eine Gebärmutterauskratzung möglich. Danach müssen Mütter das Kind gebären. Ab Woche 24 beginnt die Lebensfähigkeit.
  • Zum langfristigen Denken anregen: «Welche Situation belastet die Mutter, die Beziehung und die Angehörigen mehr? Mit welcher Situation kann die Familie langfristig besser umgehen?»

Insgesamt achtet Leonhard Schäffer darauf, den Eltern die bestmöglichen Informationen für ihren Entscheid zu geben. Er rät ihnen, sich früh mit solchen unangenehmen Szenarien zu befassen, ohne sich verrückt zu machen: Eine Schwangerschaft solle schliesslich etwas Schönes sein, und die grosse Mehrheit aller Kinder sei gesund.

Gynäkologie am KSB

Erwarten Sie ein Kind und sind Sie unsicher, welche pränatalen Untersuchungen sinnvoll sind? Haben Sie eine Diagnose erhalten, die Sie ängstigt? Unser Gynäkologen-Team begleitet Sie einfühlsam auf dem Weg zur Geburt.

Jetzt Termin vereinbaren





Mehr zum Thema:

Top

Flop

Sie haben für diesen Artikel abgestimmt.

Sie haben gegen diesen Artikel gestimmt.

Newsletter Anmeldung