Musiktherapie für frühgeborene Kinder
Sanfte Klänge für einen besseren Start ins Leben: Sehen Sie im Video, wie Musiktherapie auf der Neonatologie auf Frühgeborene wirkt.
Eigentlich sollte Jael noch im Bauch ihrer Mutter heranwachsen. Geschützt vom Fruchtwasser und umgeben von den natürlichen Geräuschen des Herzens, der Verdauung und des Bluts. Doch noch vor Erreichen der 35. Schwangerschaftswoche – und damit gut fünf Wochen zu früh – erblickte sie das Licht der Welt. Seit der Geburt sind inzwischen drei Wochen vergangen. Die Ärzte sind mit Jaels Entwicklung zufrieden. Zur Überwachung ist sie jedoch weiterhin auf der Neonatologie des Kantonsspitals Baden. Dort gibt es das Angebot der Musiktherapie für Frühgeborene. Diese soll die Babys beim Start ins Leben unterstützen.
Begleitende Musiktherapie auf der Neonatologie
Etwa 5000 bis 6000 Kinder kommen hierzulande zu früh zur Welt. Das heisst vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche. Sie werden zur medizinischen Behandlung und Beobachtung direkt nach der Geburt auf die Frühgeborenenstation, die Neonatologie, verlegt. «Die Babys sind plötzlich in einer für sie vollkommen anderen Welt», erklärt Manuel Bryant, ärztlicher Leiter der Neonatologie am KSB. «Denn die Neonatologie unterscheidet sich sensorisch und audiotorisch komplett von der Welt, die die Frühchen kennen. Statt der natürlichen mütterlichen Geräusche, die durch das Fruchtwasser gedämpft zu ihnen vordringen, erleben sie nun direkte ungewohnte Geräusche wie das Piepsen der Monitore und die Verstärkung des Inkubators.»
Musiktherapie zur Beruhigung oder Anregung
Hier setzt die Musiktherapie an. Mit sanften Klängen zielt sie darauf ab, die Stressfaktoren der frühen Geburt sowie jene der Geräuschkulisse auf der Neonatologie für die Kinder wie auch für ihre Eltern zu lindern.
Die klinische Musiktherapeutin MAS/SFMT Renate Nussberger schaut jeweils individuell, was Eltern möchten oder grad für ihr Baby passt. «Auf unserer Station werden Babys ab der 32. Schwangerschaftswoche aufgenommen. Und ab diesem Alter eignet sich für wache Kinder auch schon mal ein kurzes, feinabgestimmtes Interaktionsangebot mit Singen oder melodiösen Elementen», sagt Nussberger. «Mit anregender Sprechmelodie oder Singen können wir die Kinder zum Beispiel beim Trinken unterstützen.» Aber auch auf die Atmosphäre der gesamten Neonatologiestation wirkt die Musik: «Zum Teil arbeiten wir auch mit Raummusik. Darin bauen wir manchmal das Piepsen der Monitore in die Melodien mit ein, was angenehmer ist.»
Wichtigster Faktor in der Musiktherapie ist die Stimme
Auch Jael und ihre Mutter bekommen auf der Neonatologie heute Besuch von der Musiktherapeutin. Renate Nussberger arbeitet viel mit ihrer Stimme. Zur Begleitung wählt sie Saiteninstrumente, wie zum Beispiel die Körpertambura mit warmem Klang, die am Körper aufgelegt, ihre Schwingung der Saiten ganz fein vibrierend überträgt. Summend stimmt sie ein Wiegenlied an und streicht dazu leicht über die Saiten des Instruments. Intuitiv beginnt Jaels Mutter, im gleichen Rhythmus der Musik sanft ihr Händchen zu streicheln. «Ich achte mit dem Rhythmus immer auch auf den Atem der Mutter», so Nussberger. Häufig werde der Atem tiefer und das Baby stimme sich darauf ein.
Instrumente der Musiktherapie
Als Jaels Vater und der Bruder dazukommen, bezieht die Musiktherapeutin auch das Geschwisterkind mit ein. Sie lässt den Fünfjährigen die Saiten der Körpertambura zum Klingen bringen. Stolz spielt der Bub ein paar Klänge für seine kleine Schwester und begleitet dann automatisch rhythmisch das Lied, das für seine Schwester gesungen wird.
Musiktherapie lässt den Stresslevel der Eltern sinken
«Die Klänge der Musiktherapie unterscheiden sich zwar von jenen im Mutterleib», sagt Manuel Bryant. Dennoch seien die Geräuschspektren ähnlich. «Dass sich zudem sogar Veränderungen in der kindlichen Hirnfunktionalität im MRI zeigen, ist sehr beeindruckend.» Als wichtig erachtet er ausserdem, dass Eltern die Musiktherapie mit ihren Kindern zusammen machen können, indem sie selbst aktiv werden. Untersuchungen bestätigen, dass der Stresslevel bei den Eltern sinkt. Dies wirke sich wiederum positiv auf die Kinder aus.
Auch im Beziehungs- und Bindungsleben wirkt Musiktherapie unterstützend
«Die Musik ist in uns Menschen angelegt», sagt Renate Nussberger. Jede Kultur kenne Wiegenlieder, auch wenn das Singen dieser Lieder bei uns heute nicht mehr so stark Brauch sei. «Die Stimme ist ein wichtiges Bindungselement für die Menschen, weil das Baby sie bereits im Mutterleib wahrnimmt», so Renate Nussberger. «Natürlich kann man auch eine Spieldose aufziehen. Doch gegenüber der Spieldose können wir die Lautstärke und das Tempo eines Liedes mit der Stimme immer anpassen zum Beispiel bei Weinen oder beim Schläfrigwerden des Kindes. Auch bringen wir damit Gefühle damit zum Ausdruck.»
Und falls die Eltern selbst gar keine Freude am Singen haben oder gehemmt sind? «Es ist sicher entlastend zu wissen, dass auch liebevolles Sprechen mit dem Baby wichtig ist und die Beziehung stärkt. Manchmal arbeiten wir zudem mit Stimmaufnahmen. So kann das Kind die Eltern immer wieder mal hören, wenn sie eine Weile nicht kommen können.» Gegen Ende der Musiktherapie seufzt Jael leise, ihre Gesichtszüge entspannen sich. Yaels Mutter, die selbst gern Heavy Metal hört, ist erstaunt über die entspannende Wirkung, die das Hören und Spüren der Körpertambura bei ihr und ihrer Tochter auslösen. Eine sanfte Klangoase im herausfordernden medizinischen Alltag mit dem Frühchen.
Neonatologie am KSB
Auf der Neonatologie liegen die kleinsten Patienten des KSB. Fachpersonen aus der Pflege, Ärzte und Therapeuten kümmern sich um sie. Haben Sie Fragen zur Betreuung von Frühgeburten? Die Spezialisten des KSB helfen Ihnen gerne weiter.
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